Das Shapira Viertel hat einen schlechten Ruf. Es soll gefährlich sein, ein Armutsviertel mit hoher Kriminalität am südlichen Zipfel von Tel Aviv. Viele afrikanische Flüchtlinge leben hier neben alteingesessenen bucharischen Juden, die zu Gründerzeiten aus Usbekistan und Tadschikistan nach Israel einwanderten. Geografisch liegt das Quartier zwischen dem Ayalon Highway, der zentralen Bushaltestelle und dem Mount Zion Boulevard im Westen. Ich wurde gewarnt, nicht nach Anbruch der Dunkelheit durch Shapira zu laufen. Die Realität ist wie so oft komplexer.
Junge Entrepreneure kaufen Grundstücke auf
Mein Rundgang beginnt an einem milden Novemberabend. Als wir von der Schnellstrasse Kibbutz Galuyot abbiegen, verändert sich das Stadtbild. Ich sehe junge afrikanische Männer auf E-Bikes auf sonst verwaisten Strassen. Zusammen mit meinem Soulmate und Businesspartner Udi, aka Urban Shaman, lassen wir uns von der Aktivistin Dafi durch die Gegend führen. In einem Hangar mit coolen Graffitis befindet sich das Headquarter der VENN Aktivisten: eine Gruppe junger entrepreneurs, die bereits einen beachtlichen Teil von Grundstücken in Shapira aufgekauft haben.
Gentrifizierung von Shapira in eine upscale Gemeinde
Dafi erklärt, die Venn-Aktivisten hätten die Vision aus Shapira einen Co-Living Space zu zaubern. Eine community, in der Künstler, Architekten, junge Familien und Startup Firmen gemeinsam mit alteingesessenen Anwohnern und afrikanischen Immigranten im Einklang leben. Die Utopie eines dänischen Christiana in Tel Aviv? Die Hipster-Variante eines urbanen Kibbutz an den Rändern von Tel Aviv?
Trotz Euphorie und Idealismus, die Dafi für dieses Projekt versprüht, eckt die Idee bei mir an. Im Anblick der sozialen Lage von Shapira, frage ich mich, ob die 8000 Einwohner, die hier seit Jahren spärlich leben, wirklich begeistert von dem Unternehmergeist der Jungpioniere sind? Im Fachjargon heisst solch ein sozio-ökonomischer Strukturwandel Gentrifizierung. Zahlungskräftige Investoren kaufen Immobilien auf, Reiche verdrängen die Armen. Wie einst im New Yorker Soho und Meatpacker District.
Zwei Cafés unter dichten Laubbäumen
Shapira hat seinen Charme. Es fühlt sich so gar nicht nach Tel Aviv an. Abgekoppelt von der Hektik der City hat das Viertel einen fast ländlichen Charakter. Von den kleinen Einfamilienhäusern blättert der Putz, auf Klappstühlen sitzen rauchende ältere Männer und spielen Karten. Auf der Hauptstrasse leuchtet einzig die Auslage eines Obsthändlers. Nur das Café Shapira ist voll besetzt. Unter einem riesigen Baum sitzt eine Gruppe junger Männer auf ein Bier. Zwei Studentinnen essen Sandwiche und tippen emsig in ihre Laptops. Das Café Getzel auf der Hauptstrasse ist über die Grenzen von Shapira hinaus bekannt. (Weitere Cafés in Tel Aviv)
Die quirlige Dafi redet ohne Punkt und Komma. Sie ist in Fahrt, wenn sie von ihrem Traum einer kreativen Kooperative erzählt, die man stückweise bereits erahnen kann. Als Highlight unseres abendlichen Spaziergangs besuchen wir das Red House, das Herzstück des neuen Shapira. Ein Artspace in einem wunderschönen alten Haus, in dem Künstler ihre Werke ausstellen und das als Brücke zwischen den hippen Entrepreneurs und den alteingesessenen Bewohnern dienen soll. Ob das wohl klappt?
featured image: www.tirochedeleon.com
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